Der Zentralschweizer Schindler-Konzern hat eine ungewöhnliche Berichterstattung über seine Segmente. Doch nicht nur dies ist merkwürdig.
Wer in den Semester- und Jahresabschlüssen des auf Fahrtreppen und Aufzüge ausgerichteten Familienunternehmens blättert, dürfte sich rasch die Augen reiben.
Die Segmentberichterstattung kommt nämlich recht ungewöhnlich daher.
Nur eine Million an Umsatz
So gab der Schindler-Konzern dieser Tage bekannt, dass er in der Sparte «Aufzüge und Fahrtreppen» im ersten Halbjahr rund 5,6 Milliarden Franken an Umsatz sowie rund 650 Millionen Franken an Betriebsgewinn erzielt habe.
Im zweiten Segment, mit Namen «Finanzen», betrug der Umsatz im ersten Semester aber nur eine Million Franken, und es resultierte ein operativer Verlust von 31 Millionen Franken.
Die Sparte «Finanzen» schliesse die Aufwendungen der Schindler Holding AG sowie die Geschäftstätigkeiten von BuildingMinds ein, erklärte der Konzern.
Gigantischer Unterschied
Firmen gewähren in Segmentberichten normalerweise Einblicke in Teilbereiche ihrer Aktivitäten.
Doch beim Schindler-Konzern fällt quasi der ganze Umsatz in einer Sparte an.
Blickt man zusätzlich in die Jahresabschlüsse, so weist das Unternehmen stets nur die beiden Segmente «Aufzüge und Fahrtreppen» sowie «Finanzen» aus.
Im Jahr 2023 fielen in der grösseren Sparte rund 11,5 Milliarden Franken an Umsatz an und im anderen Segment bloss 2 Millionen Franken.
Im Jahr 2019 gab es zum Beispiel gar keinen Umsatz bei den «Finanzen».
Klare Regeln nach IFRS
Laut Eigenwerbung entwickelte sich der Schindler-Konzern in den vergangenen 150 Jahren «zu einem der führenden Anbieter in der Aufzugs- und Fahrtreppenindustrie».
Müsste das Unternehmen da Investoren nicht zumindest auch sagen, wie viel Umsatz und Betriebsgewinn es in beiden Bereichen erzielt?
Die Segmentberichterstattung von Schindler folgt den Internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS und basiert damit auf der unternehmensinternen Finanzberichterstattung.
Sowohl bei der Abgrenzung der Segmente als auch bei den zu publizierenden Segmentangaben wird folglich auf die zur internen Performancemessung und Ressourcenallokation verwendeten Daten zurückgegriffen.
Dass die Holding bei Schindler praktisch nur für Finanzen da sein soll, mutet bei dem von CEO und Verwaltungsratspräsidenten (VRP) Silvio Napoli geführten Unternehmen auch etwas komisch an.
Webseiten mit anderer Sprache
IFRS definiert laut Lehrbuch ein Geschäftssegment als Unternehmensbestandteil, der a) Geschäftstätigkeiten betreibt, mit denen Umsatzerlöse erwirtschaftet werden und bei denen Aufwendungen anfallen, b) dessen Betriebsergebnisse regelmässig von der verantwortlichen Unternehmensinstanz in Hinblick auf Entscheidungen über die Allokation von Ressourcen und die Bewertung seiner Ertragskraft überprüft werden, und c) für den separate Finanzinformationen vorliegen.
Die Punkte a), b) und c) sollten bei Schindler also durchaus für Fahrtreppen und Aufzüge zutreffen.
Wer nur schon auf die Webseiten einzelner Schindler-Landesgesellschaften schaut, findet dort auch die Zweiteilung nach Fahrtreppen und Aufzügen.
In Deutschland ist der Schindler-Internetauftritt beispielsweise klar in Aufzüge, Fahrtreppen & Fahrsteige sowie Service aufgeteilt (siehe Screenshot).
Intern mit Zusatzinfos
«Das Segment Aufzüge & Fahrtreppen wird als globale Einheit geführt und umfasst ein integriertes Geschäft, welches die Produktion und Montage von Neuinstallationen sowie die Modernisierung, den Unterhalt und die Reparatur von bestehenden Anlagen beinhaltet», gibt Schindler zur Segmenteinteilung zwar an.
Jedoch wird gleich ausgeführt, dass dem Aufsichts- und Strategieausschuss als Hauptentscheidungsträger interne Finanzberichte zur Verfügung gestellt würden und diese Berichte die Basis für die Leistungsbeurteilung des Segments bildeten.
Das Management hat also offenbar mehr Informationen.
Schweigen im Walde
muula.ch wollte nun von der Medienstelle des Schindler-Konzerns wissen, warum die Segmentberichterstattung nicht weiter aufgespalten wird.
Eine überfordert wirkende Mediensprecherin antwortete aber bloss mit denselben Hinweisen auf die Zwischen- und Jahresberichte, die ihr muula.ch einen Tag zuvor zum Verständnis der Medienanfrage gegeben hatte.
Nachfragen bei der Kommunikationschefin und selbst beim Hauptverantwortlichen Napoli zu dieser eigentlich harmlosen Frage blieben dann unbeantwortet.
Für ein börsenkotiertes Unternehmen ist dies meist ein schlechtes Zeichen; denn Journalisten wissen dann, dass sie wohl durchaus einen wunden Punkt getroffen haben.
Merkwürdig ist das Verhalten der Firma schon.
Wirtschaftsprüfer segnen ab
muula.ch befragte aber mehrere Accounting-Experten zur Segmentberichterstattung des Schindler-Konzerns.
Sie erklärten unisono, dass diese mit der groben Aufspaltung doch recht merkwürdig sei.
Zudem wunderten sich die Bilanzspezialisten, dass die Wirtschaftsprüfer um PwC und Ernst & Young diese fragwürdige Darstellung seit Jahren akzeptieren.
Rechtlich sei diese Vorgehensweise damit wohl in Ordnung, hiess es.
Externe im Unklaren
Der Schindler-Konzern könnte sich aber nicht einmal mit dem Argument aus der Affäre ziehen, der Konkurrenz um Thyssen, Otis, Kone & Co. keinen Einblick in die Gewinnmargen von Aufzügen und separat von Fahrtreppen geben zu wollen.
Es bestehen nämlich laut IFRS keine Klauseln zum Schutz vor Wettbewerbsnachteilen durch die Offenlegungen, heisst es klar in den Regeln zu den Geschäftssegmenten.
Verwaltungsrat kauft Aktien
Ende Juli kaufte bei dem Lift- und Rolltreppenbauer ein Verwaltungsratsmitglied im grossen Stil bei Schindler-Papieren zu.
Wie aus einer Offenlegungsmeldung an die Schweizer Börse SIX hervorging, erwarb diese Person 605.140 Namenaktien im Gesamtwert von 133,1 Millionen Franken.
Wenn der Verwaltungsrat aber besser im Bilde ist, was die Geschäftslage und Profitabilität bei Aufzügen sowie Fahrtreppen angeht, dann hätte dieser Aktiendeal wohl auch einen Beigeschmack.
Angriffsfläche bieten
«Wir haben daraus gelernt und unser Krisenmanagement drastisch verbessert», sagte CEO und VRP Napoli unlängst der «Neuen Zürcher Zeitung» zu einem Todesfall mit einem Knaben in Japan, bei dem die gesamte öffentliche Meinung gegen den Lifthersteller war.
Hinterher sei man immer klüger, betonte der Firmenchef bezüglich einer der grössten Krisen des Familienunternehmens.
Doch offenbar gibt es beim Krisenmanagement noch Verbesserungspotential – denn nicht selten werden Firmen gerade wegen fragwürdiger Bilanzierungsmethoden etwa von Shortsellern angegriffen.
05.08.2024/kut.