
Die Schweiz verkompliziert ihre obligatorische Unfallversicherung. Doch dies gefällt nicht allen und stellt auch einen ganzen Sonderweg infrage.
Die Unfallversicherung ist eines der profitabelsten Produkte der Assekuranz.
Dies liegt daran, dass Menschen die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu erleiden, markant überschätzen und selbst, wenn etwas passiert, die Schäden vergleichsweise gering sind.
Mückenstich gilt als Unfall
Klar, es kann immer etwas passieren und Einzelschicksale um Invalidität nach Unfällen sind tragisch.
Doch für ein ganzes Land, spielt dies nur eine untergeordnete Rolle. Die Schweiz geht bei diesem Thema weltweit aber einen Sonderweg und trennt die Kranken- von der Unfallversicherung.
Eigentlich spielt es ja gar keine Rolle, was die Ursache von Gesundheitsproblemen war. Krank ist krank und fertig.
Separate Staatsversicherer, wie die Suva, und eine zusätzliche Pflichtversicherung wären damit vollkommen obsolet.
In der Schweiz gibt es mit dem Sonderweg zudem viele Absurditäten, denn sogar Insektenstiche gelten als Unfälle und diese werden bei Komplikationen von der Unfallversicherung reguliert.
Ausgleichsfonds entsteht
Nun ist die Vernehmlassung um eine Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) zu Ende gegangen.
Dabei geht es um ein Anliegen der Privatassekuranz, welche das Risiko von Katastrophen zusammenlegen und sich damit die Rückversicherungsdeckung sparen will.
Passiert etwas Grosses, wird spontan ein Ausgleichsfonds bei der Ersatzkasse UVG gegründet, der sich über Prämienzuschläge ab dem Folgejahr des Grossereignisses von allen Privatversicherern finanziert, sodass sämtliche laufenden Kosten der Schäden gedeckt werden können.
Zeitlicher Verzug
Dies klingt zunächst clever, weil sich die Schweiz dadurch Abgaben für Rückversicherung sparen kann.
Doch kommt es im Falle eines Falles zum Grossschaden, müssen die Unfallversicherten dies dann über spätere Prämienzuschläge zahlen, statt dass ein Rückversicherer, wie Swiss Re oder Munich Re, sofort einspringt.
Das Fehlen der Anschubfinanzierung, wie bei der Ersatzkasse, fällt auch weg.
EU fürs Mal besser
Die Schweizer Unfallversicherer begrüssen logischerweise die neue Vorgehensweise über ihren Interessenverband SVV, weil sie keinen Rückversicherungsschutz ausgeben müssen und letztlich indirekt doch mehr Prämieneinnahmen erhalten.
Das Risiko für Unfallkatastrophen wird dabei aber quasi auf die Allgemeinheit beziehungsweise die Kundschaft abgeschoben, die einfach später zur Kasse gebeten wird.
Das UVG und seine Verordnung sind dabei nicht nur eine Schweizerische Besonderheit, die es etwa nach europäischem Recht gar nicht gibt.
In der EU besteht auch kein Bedarf an einem solchen staatlich angeordneten Ausgleichspool, der sich über Prämienzuschläge finanziert, weil es gar keine obligatorische Unfallversicherung gibt.
Jahrhundertverlust eingepreist
Der Staatsversicherer Suva ist zwar von den Rechtsänderungen nicht betroffen, da es nur um die Privatassekuranz geht.
Die Suva findet die Sache dennoch gut, weil sie generell zu finanzieller und rechtlicher Sicherheit in der gesamten Unfallversicherung führe und das Schweizerische Sozialversicherungssystem stärke, so der Ergebnisbericht.
Die grösste Trägerin der obligatorischen Unfallversicherung versichert rund die Hälfte aller Arbeitnehmer der Schweiz gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten und sorgt selbst für einen möglichen Jahrhundertverlust vor.
Hypothetische Kosten verrechnen
Bauchschmerzen können bei näherer Betrachtung des Unterfangens dennoch aufkommen, wie einzelne Stellungnahmen zur Vernehmlassung zeigen.
So kritisierte die SVP, dass die Ersatzkasse zusätzlich zu den Prämienzuschlägen finale Prämienzuschläge in Vorbereitung der Fondsschliessung festsetzen könne.
Sind die «Aufräumarbeiten» nach einer Katastrophe erledigt, soll sich der Fonds nämlich wieder in Luft auflösen.
Dabei geht es der SVP allerdings zu weit, potenzielle Forderungen geltend zu machen. Die Versicherten sollten nicht prophylaktisch mit Aufwand belastetet werden, der unsicher sei.
Captive auf Staatsebene
Abgesehen davon, dass die Privatversicherer ironischerweise selbst zeigen, wie man Rückversicherung umgehen kann.
Die Struktur entspricht einem sogenannten Captive, wie sie Industrieunternehmen mit vielen Produktionsstätten weltweit haben und die nur Spitzenrisiken absichern, weil wohl kaum alle Werke gleichzeitig durch einen Brand oder Hurrikan ausfallen.
Bei der Unfallversicherung über die Privaten kommt dann allerdings hinzu, dass sie Neukunden über die Prämienzuschläge für ein Schadenereignis zur Kasse beten, welches sie ursprünglich gar nicht betroffen hat.
Effizienter Schutz
Und auch wenn die Schweiz schon den Sonderweg in der obligatorischen Unfallversicherung gut findet, bräuchte es den Ausgleichsfonds über aufwändige Rechtsänderungen und mit komplexer Administration eigentlich nicht.
Die Rückversicherung ist genau für unwahrscheinliche Ereignisse mit extrem hohen Schadenzahlungen da und die Gesellschaften bieten diesen Schutz marktwirtschaftlich effizient an.
Die Ersatzkasse UVG führt auch ein üppiger Stiftungsrat aus 12 Mitgliedern von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der eine neue Verantwortung bekäme.
Staat verschlanken
Der Bundesrat könnte also einen Anfang vom Ende der Pflichtversicherung im Unfallbereich machen, indem er die Rechtsänderungen einfach zurückweist.
Den ganzen Staatsapparat bräuchte es gar nicht.
Scheuen Individuen oder Unternehmen für sich und die Belegschaften das Unfallrisiko, könnten sie es privat absichern.
Und Anbieter um Zurich Insurance, Swica & Co. würden dann auch automatisch Katastrophenereignisse berücksichtigen – entweder in ihrem eigenen Selbstbehalt oder über Schutz durch Rückversicherer.
05.10.2025/kut.