Bundesrat verbiegt die Suva für Europäischen Gerichtshof

Der Eingang der Suva in Luzern
Die Kunden der Suva sollen auf einen Teil der Kapitalerträge verzichten. (Bild: muula.ch)

Die Schweiz wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt. Der Bundesrat reagiert mit einem Missbrauch der Suva darauf.

Jeder Mückenstich ist in der Schweiz ein Unfall und die staatliche Unfallversicherung ist dafür zuständig.

Ein Unfall ist nämlich klar definiert – es ist ein plötzliches und von aussen wirkendes Ereignis, bei dem eine Person unfreiwillig einen Körperschaden erleidet.

Lange Inkubationszeit

Genau wegen dieser Definition fallen Insektenstiche in der Schweiz nicht unter das Krankenversicherungsgesetz, sondern die Unfallversicherer sind zuständig.

Doch nun will der Bundesrat den staatlichen Unfallversicherer für eine andere Sache benutzen, die eigentlich gar nicht unter diese Definition fällt.

Die Rede ist von Asbestschäden.

Aufgrund der langen Inkubationszeit für asbestbedingte Krankheiten, welche bei dreissig bis vierzig Jahren liegt, erkranken in der Schweiz weiterhin jährlich um die 120 Personen schwer, weil sie eine krebserregende Menge an Asbestfasern eingeatmet haben.

KVG und IV zuständig

Um jedoch Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung gemäss dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) zu haben, wäre ohnehin eine berufliche Asbestexposition die Voraussetzung.

Rund 20 bis 30 der Erkrankten haben aber mangels einer beruflichen Asbestexposition ohnehin keinen Anspruch auf die Leistungen nach UVG, sondern lediglich auf solche der obligatorischen Krankenpflegeversicherung KVG und der Invalidenversicherung IV.

Diese Leistungen fallen allerdings geringer aus. Kaum ein Land – ausser die Schweiz – macht solche Unterscheidungen. Krank ist krank – egal ob Unfall oder Krankheit.

Unfaire Schweiz?

Das Bundesgericht hat nun in mehreren Urteilen die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäss dem Verantwortlichkeitsgesetz gestützt.

Eine Familie erhob dagegen aber Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), insbesondere gestützt auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, dem Recht auf ein faires Verfahren.

Der EGMR hat in seinem Urteil eine Verletzung des genannten Artikels festgestellt und argumentierte, dass die Anwendung der Verwirkungs- und Verjährungsregeln unverhältnismässig sei.

Bundesgericht wartete Ewigkeiten

Durch eine systematische Anwendung dieser Bestimmungen auf Opfer von Krankheiten, welche erst viele Jahre nach den krankheitsauslösenden Ereignissen diagnostiziert werden könnten – wie bei Asbest – nehme es den Opfern jede Möglichkeit, die Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, so die Logik.

In einem weiteren, aktuellen Urteil bestätigte der Gerichtshof diese Rechtsprechung.

Der EMGR urteilte weiter, dass die Schweiz ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, dafür zu sorgen, dass das Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist durchgeführt worden sei.

Hintergrund dieser langen Verfahrensdauer war, dass das Bundesgericht das Verfahren im April 2018 während rund vier Jahren aussetzte, da die Richter die Debatte im Parlament betreffend eine Anpassung des Obligationenrechts zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist abwarten wollten.

Gesetz verbiegen

Der Bund ersann dann die Gründung der Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer EFA, welche den betroffenen Personen eine Alternative zur Beschreitung des gerichtlichen Wegs bieten soll. Allerdings verfügte die Stiftung nicht über ausreichende Mittel.

Rund 26 Millionen Franken wurden unter anderem vom Schweizerischen Versicherungsverband SVV, von Bahnunternehmen, asbestverarbeitenden Betrieben und paritätischen Berufskommissionen aufgebracht.

Die Suva konnte aber mangels gesetzlicher Grundlage keine Zahlungen leisten und daher verbiegt der Bundesrat nun das Gesetz.

Bund und Politik entscheidet

Der Bundesrat öffnet nunmehr dem staatlichen Unfallversicherer Suva die Möglichkeit, Kapitalüberschüsse in diese Stiftung EFA zu geben, wie er mitteilte.

Der Entscheid, ob, wann und wie hoch die entsprechenden Zuwendungen ausfallen, liege aber in der Kompetenz des Suva-Rates, der sich aus dutzenden Politikern und Bundesangestellten speist.

Suva-Kunden zahlen

Mit den Änderungen seien zwar nur wenig Auswirkungen auf die Volkswirtschaft zu erwarten, hiess es in der Botschaft vom Bundesrat.

Indem aber Ertragsüberschüsse der Suva verwendet werden können, um die Stiftung EFA zu finanzieren, könnten diese nicht dazu verwendet werden, zu den versicherten Betrieben in Form von reduzierten Prämien zurückzufliessen.

Entsprechend würden die Betriebe finanziell stärker belastet, erklärte die Landesregierung.

Letztlich bezahlen also alle Suva-Versicherte diesen Fonds, obwohl sie dies nicht müssten.

Die Suva versucht ja ohnehin ständig, Leistungen auf die Krankenversicherung KVG abzuwälzen, wenn sie diese nach UVG nicht unbedingt zahlen muss, wie muula.ch bereits berichtete.

Andere Lösung nötig

Es ist nun also ein klarer Missbrauch der Zwangsversicherung Suva wegen des EGMR – auch wenn jeder für die schwierige Situation von Asbest-Opfern wohl Verständnis hat.

Die Schweiz hätte selbst in Zeiten klammer Kassen hierbei eine andere Lösung finden müssen.

16.09.2024/kut.

Bundesrat verbiegt die Suva für Europäischen Gerichtshof

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