Drei Barrieren für bessere Lebensverhältnisse

Trump und Putin it einer Weltkugel in den Händen
Ist die Demokratie oder die Autokratie die bessere Gesellschaftsform? (Symbolbild: L. Anomon / pixabay)

Liberale Demokratien leiden unter einem Hauptproblem. Die Schweiz muss an drei Stellschrauben drehen, um Versprechen für Fortschritt wiederzubeleben.

Marode Strassen, schlechte Züge, explodierende Gesundheitskosten, Wohnungsmangel in den Städten, stockende Klimapolitik, teure Energie, nutzlose Landesverteidigung, stockende Digitalisierung, erschöpftes Bildungssystem, unaufhaltsame Migrationsströme und und und.

Die Mängelliste in der Schweiz liesse sich quasi ins Unendliche fortsetzen.

Zweifel an Demokratie

Während es nach dem 2. Weltkrieg im Westen stets gelang, gesellschaftliche Rahmenbedingungen immer wieder zu reformieren, ist dies in jüngster Zeit weniger der Fall.

Viele Schweizer sehen die Entwicklungen in Dubai, Schanghai oder Singapur, wo der Fortschritt funktioniert.

Daheim wird dagegen alles schlechter, was nicht selten zu Zweifeln an der Legitimation des demokratischen Systems führt und in einer Vertrauenskrise der Gesellschaft mündet.

Steuerungskrise des Staates

Gewiss, der Staat ist schon gar nicht in der Schweiz eine Zentralinstanz mit unbegrenzten Möglichkeiten.

Dennoch sind die Probleme derzeit unübersehbar, was die Frage aufwirft: Warum war denn früher offenbar alles besser?

Die Konservativen kritisierten zwar stets den Wohlfahrtsstaat und die Linken meckerten stets am Neoliberalismus herum.

Wissenschafter machen allerdings eine Steuerungskrise des Staates in westlichen Demokratien aus, die drei Hauptursachen hat.

Strukturelle Faktoren hemmen

«Man kann sicherlich beklagen, politische Visionen einer besseren Gesellschaft seien rar geworden und es fehle an durchsetzungsfähigen Politikern.»

Dies schrieb Andreas Reckwitz, Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität Berlin, in der aktuellen Ausgabe von «Die Zeit» zu diesem Thema.

Ausschlaggebend dafür, dass westliche Gesellschaften seit den 2000er-Jahren immer weniger Fortschritt erführen, seien aber eine Reihe hemmender struktureller Faktoren, erklärte der Wissenschafter.

Regulierungsdichte und Individualrechte

Erstens sei der wichtigste Faktor die immer stärkere Verrechtlichung des Lebens. Dies erschwere die effektive Durchsetzung staatlicher Vorhaben, erklärte der Soziologieprofessor.

«Die Stärkung der subjektiven Rechte des Einzelnen und die wachsende Regulierungsdichte führen dazu, dass die Durchsetzungsfähigkeit staatlicher Massnahmen schwindet», betonte er.

Dies gelte für den Wohnungsbau, öffentliche Bauprojekte, die Klimapolitik, bei der Migration, im Klimabereich sowie in der Bildung beziehungsweise in der Sozialpolitik.

Enormer Zeitgewinn möglich

Jede Schweizerin und jeder Schweizer können sich für all diese Bereiche wohl selbst ausmalen, was ein Abbau der Verrechtlichung für einen enormen Schwung beim Fortschritt und vor allem Zeitgewinn bringen würde.

Vom Flughafenausbau über Neubauprojekte, die Rettung von Wölfen oder die Ausschaffung von Kriminellen bis hin zu Windrädern sowie Atomkraftwerken wäre plötzlich alles möglich.

Goldene Nasen bis vor Bundesgericht

Zwar würde eine Reduzierung der Verrechtlichung tausende Anwälte von der Zürcher Bahnhofstrasse über Luzern und Lausanne bis hin nach Genf hart treffen, die sich mit jedem Problem bis zum Bundesgericht stets goldene Nasen verdienen.

Doch der Fortschrittsgewinn für die Gesellschaft wäre enorm.

Dies lässt sich auch am neuen Verhandlungspaket Schweiz – EU ablesen, das über 1800 Seiten umfasst und wo Dauerstreit von Bern mit Brüssel quasi vorprogrammiert ist.

Die Übergangsvereinbarung der Schweiz mit der EU bis zum Inkrafttreten der neuen Regeln zeigen aber , dass es auch auf zweieinhalb Seiten geht.

Blockaden als Dauerzustand

Der zweite Einfluss, der besseren Lebensverhältnissen quasi im Wege steht, sei die stärkere Pluralisierung der Parteienlandschaft, welche eine wachsende Polarisierung einschliesse, erklärte Reckwitz weiter.

Regierungen würden kaum noch durch gemeinsame Programmatik zusammengehalten, so der 55-Jährige.

Aus der Not geborene Zweckgemeinschaften, Blockaden zwischen politischen Lagern und Minderheitsregierungen seien keine Ausnahmen mehr, sondern die Regel.

Grosse politische Projekte gehörten der Vergangenheit an, hob der Soziologe hervor.

Gerade in der Schweiz zählt neben den Grossen ohnehin jede noch so kleine Gruppe oder Meinung gleichberechtigt nebeneinander, die es zu berücksichtigen gilt.

Krisenmodus durch Medien

Und drittens trage die Digitalisierung der medialen Öffentlichkeit zur politischen Steuerungsschwäche bei, die zu einer extremen Kurzfristigkeit führe. Politische Akteure würden dadurch gezwungen, sich ständig mit neuen Aufregern zu beschäftigen.

«Zunehmend werden sie dazu verführt, ihre Politik an wechselnden Meinungsumfragen auszurichten, sodass kurzfristige Dringlichkeiten tendenziell die langfristigen Ziele aus der Aufmerksamkeit verdrängen», erklärte der Professor in seinem Gastbeitrag.

«Die Politik wird so in einen Krisenmodus als Dauerbetriebsmodus gezwungen, der auf immer neue Ereignisse reagiert, was zur Folge hat, dass langfristiger Strukturaufbau und langfristige Reformen in den Hintergrund geraten», mahnte er.

Aufschwung des Rechtspopulismus

Wenn selbst bescheidene Fortschritte in liberalen Demokratien unerreichbar erscheinen, würde sich das Legitimationsproblem des Systems verschärfen.

Die Bürger erleben, beispielsweise in Migrationsfragen, die Steuerungsschwächen des Staates tagtäglich, was nicht zuletzt zu einem Vertrauensverlust führe, der den Aufschwung des Rechtspopulismus erkläre.

Populisten versprechen, ineffiziente Strukturen zu beseitigen und ohne Rücksicht auf Verluste durchzuregieren, was aber die Regeln der Demokratie gleich mit abräumt. Da erkennt so mancher Schweizer wohl die rechte SVP.

Rückhalt an Autokraten verlieren

Neben dem Populismus tritt vielerorts die autoritäre Versuchung wie in China, Russland, Singapur oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, machte Reckwitz weiter klar.

«Wenn autoritäre Systeme tatsächlich in vielen Bereichen bessere Steuerungsleistungen erbringen sollten als liberaldemokratische, ist zu befürchten, dass Letztere an Rückhalt verlieren», sagte er.

Kein «big government»

Damit eine freiheitsliebende Ordnung wieder eine langfristige Zukunft haben will, müsse sie die staatlichen Steuerungsprozesse revitalisieren, welche die Lebensverhältnisse der Bevölkerung konkret verbessern, hiess es weiter.

Dabei ist keineswegs ein «big government» gemeint, sondern die Leistung des Staates solle wieder darin bestehen, effiziente Marktstrukturen bereitzustellen, Regulierungen als effektive Anreizstrukturen einzusetzen und Privatinvestitionen im grossen Stil in bestimmte Bereiche zu ermöglichen.

Kompromisse schmieden

Die Schweiz muss dafür also an drei Stellschrauben drehen.

Der Abbau der Verrechtlichung ist dabei die Herkulesaufgabe. Hinzu kommt die Stärkung des kooperativen Geistes in den Parteisystemen trotz aller Pluralisierung und Polarisierung.

Last, but not least braucht das Land wieder die Ausrichtung auf eine langfristig orientierte Politik, welche die Kurzfristigkeit der digitalen Öffentlichkeit quasi ignoriert.

12.07.2025/kut.

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